Stellungnahme des Vorstands der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Region Stuttgart e.V. am 26. Juni 2020
Die Bundesregierung sei wie die EU der Ansicht, dass eine Annexion innerhalb des Westjordanlands nicht mit internationalem Recht vereinbar wäre, sagte der deutsche Außenminister am 10.6.20 bei seinem Besuch in Israel. Weitere Überlegungen äußert er zum israelisch-palästinensischen Konflikt nicht. Das ist in mehrerer Hinsicht zu wenig.
Erstens müsste sich die Bundesregierung endlich selbstkritisch eingestehen, dass sie die Verweigerungshaltung der palästinensischen Seite Tag für Tag mit viel Geld unterstützt und so den Konflikt verlängert. Abbas lehnte es rundweg ab, über den Trump-Plan und die darin vorgeschlagene „realistische Zwei-Staaten-Lösung“ auch nur zu sprechen; er kündigte zudem sämtliche Vereinbarungen mit Israel. Kein Ton von Maas oder der Bundesregierung dagegen. Es ist die arabisch-palästinensische Seite, die seit mehr als 70 Jahren, alle Friedens- und Verhandlungsangebote und eine Lösung „Zwei Staaten für zwei Nationen“ ablehnt. 1947 die UN-Teilungsempfehlung und die Gründung eines palästinensischen Staates; 1967 das israelische Angebot „Land für Frieden“; 2000 die Clinton Parameter und das Angebot Baraks, 96 Prozent der umstrittenen Gebiete einem palästinensischen Staat zuzuschlagen, ohne jüdische Siedlungen und mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt; 2008 den Olmert-Vorschlag und 2014 die Obama-Prinzipien. In all diesen Fällen machten die Palästinenser nicht einmal Gegenvorschläge.
Ob es richtig ist, das Zeitfenster dieses Sommers zu nutzen und jetzt israelisches Recht auf jüdische Siedlungen und das Jordantal auszudehnen, ist eine komplexe Frage. Einerseits wäre es kein großer Schritt. Alle Siedlungen und das Jordantal liegen im C-Gebiet und werden von Israel entsprechend den Oslo-Vereinbarungen sowieso schon verwaltet; keine Jüdin und kein Palästinenser müssten umziehen oder Einschränkungen erdulden; das Jordantal einzugemeinden, würde Israel sicherer machen. Andererseits könnte es Verwerfungen mit der Palästinensischen Autonomiebehörde und Jordanien geben; die Stadtgrenzen der Siedlungen würden Teil der nationalen Grenze, die sich damit vervielfacht und von noch mehr jungen Israelis geschützt werden müsste. Entscheiden wird die israelische Regierung. Unsere Aufgabe als Deutsch-Israelische Gesellschaft ist es zu widersprechen, wenn die Bundesregierung Israel unfair behandelt. Wir kritisieren, dass die Bundesregierung einmal mehr mit dem Finger auf Israel zeigt und die Sabotage jeglicher Verhandlungsbemühungen durch die Palästinensische Autonomiebehörde ignoriert.
Zweitens ist der ausschließliche Verweis auf internationales Recht ein Affront. Während das internationale Recht in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Gründung Israels förderte (Balfour-Erklärung, San Remo Konferenz, UN-Teilungsplan), wird es seit den 60er Jahren zunehmend gegen Israel angewandt. „1947 hat die Mehrheit der Völkergemeinschaft das erste Mal für den jüdischen Staat Partei ergriffen. Es war zugleich das letzte Mal… Und kein anderes Land muss miterleben, wie seine Existenz seit 70 Jahren ungeniert diskutiert und infrage gestellt wird. Kriegserklärungen und Vernichtungsfantasien gegen Israel, selbst Militärschläge gegen das Land waren nie Gegenstand einer UN-Verurteilung.“ (Vorwort Schapira und Hafner in „Vereinte Nationen gegen Israel“ von Feuerherdt und Markl) Heute gibt es in der UNO eine automatische Mehrheit gegen Israel, weil sich der moderne Antisemitismus auch global auf die Zerstörung des jüdischen Staats eingeschworen hat.
Eine Analyse der Friedrich-Ebert-Stiftung „Rückkehr des Nullsummenspiels – Israelische Annexionspläne beenden die Aussicht auf Frieden in Nahost“ walzt das Argument des Außenministers in aller Ausführlichkeit aus. Der Autor argumentiert ausschließlich mit dem internationalen Recht, ohne sich mit den Argumenten Israels zu beschäftigen.
„Die Aneignung von Territorium durch Gewalt ist ein klarer Bruch internationalen Rechts …“ So pauschal ist die Aussage unseres Erachtens falsch. Es kommt auf die rechtliche Situation des betreffenden Territoriums an und von welcher Seite die Gewalt ausgeht. Die Aneignung der Krim war illegal, weil Russland einem souveränen Staat das Land wegnahm und dabei Gewalt anwandte, ohne zuvor von der Ukraine angegriffen worden zu sein. Im Krieg 1967 wurde Israel von fünf arabischen Staaten angegriffen. Ihre Armeen standen bereits an der Grenze zu Israel, als Israel präemptiv angriff, um die Aggressoren zu überraschen. Die Gewalt ging also eindeutig nicht von Israel aus, als es in Folge des Krieges das Westjordanland unter seine Kontrolle brachte. Jordanien war von israelischer Seite sogar explizit vor einem Kriegseintritt gewarnt worden. Das Gebiet unterstand nicht der Souveränität eines anderen Staates, sondern wurde ohne internationale Anerkennung von Jordanien verwaltet. Deshalb kann heute nicht von besetztem Gebiet im eigentlichen Sinne gesprochen worden, sondern korrekterweise nur von umstrittenem Gebiet, dessen rechtlicher Status ungeklärt ist. Das internationale Recht sieht für eine solche Situation Friedensverhandlungen vor. Israel bietet sie seit mehr als 70 Jahren an, die palästinensische Seite verweigert sich, weil ihr Frieden und ein palästinensischer Staat neben Israel weniger wichtig sind als ein palästinensischer Staat vom Meer bis zum Fluss auf den Ruinen Israels.
In der FES-Analyse wird behauptet, der Siedlungsbau in den palästinensischen Gebieten sei „ein klarer Bruch der vierten Genfer Konvention, die es verbietet, eigene Bevölkerungsteile in besetzte Gebiete zu verlagern.“ Die jüdischen Städte und Dörfer entstanden jedoch nicht durch einen staatlich organisierten Bevölkerungstransfer. Es handelt sich um eine freiwillige Ansiedlung, die nicht gegen die Konvention verstößt. Bis zur ersten Intifada gab es keine bewachte Linie zwischen Israel und dem Westjordanland. Jüdische und arabische Israelis bewegten sich ungehindert hin und her, viele Palästinenser arbeiteten im Kernland Israel und wohnten im Westjordanland. Wegen des arabischen Terrors gibt es heute Check-Points und eine Sicherheitsbarriere. Heute leben ca. 400.000 Jüdinnen und Juden im C-Gebiet, sonst übrigens nirgends im Westjordanland, und zwanzig Prozent der Bevölkerung des Kernlandes Israel sind arabisch-stämmig. Ist es wirklich erstrebenswert ein judenfreies Westjordanland zu schaffen, wie das internationale Recht in der Auslegung durch die FES es vermeintlich erfordert?
Ohne Unterscheidung nur von internationalem Recht zu sprechen, bedeutet sich auch positiv auf die Resolution 2334 des UN-Sicherheitsrats vom Dezember 2016 zu beziehen. Sie erklärt die Siedlungen für illegal und bedient sich einer widerwärtigen Sprache des Antizionismus:
- „dass die Errichtung von Siedlungen … durch Israel keine rechtliche Gültigkeit besitzt und einen flagranten Verstoß gegen das Völkerrecht … darstellt“
- „die Besatzungsmacht Israel“
- „fordert alle Staaten auf zwischen dem Hoheitsgebiet des Staates Israel und den seit 1967 besetzten Gebieten zu unterscheiden“
- „fordert BEIDE Parteien auf, … provokative Maßnahmen, Aufwiegelung und Hetzreden zu unterlassen“
Es lohnt sich die Resolution zu lesen, um zu verstehen, was es bedeutet, wenn der deutsche Außenminister pauschal mit dem internationalen Recht gegen Israel argumentiert.
Drittens sollte der Außenminister die Frage stellen, was die Bundesregierung anstatt zu drohen sinnvoller Weise tun könnte. Da Deutschland im zweiten Halbjahr 2020 die Präsidentschaft im Rat der EU und im Juli 2020 auch den Vorsitz im Sicherheitsrat übernimmt, ist es sicher richtig, dass Heiko Maas mit Israel, Jordanien etc. spricht. Falsch wäre es jedoch, wenn Herr Maas aus den 1,2 Milliarden Euro, die Deutschland in den Aufbau der Palästinensischen Autonomiebehörde seit den 1990er Jahren investiert hat, besondere deutsche Mitbestimmungsansprüche in der Annexionsentscheidung ableiten würde, wie es die FES-Analyse andeutet.
Nicht die israelischen Siedlungen im Westjordanland verhindern eine Zwei-Staaten-Lösung, sondern die Illusion der palästinensischen Seite, den jüdischen Staat eines Tages beseitigen zu können. Die Illusion drückt sich vor allem in der Behauptung aus, es gebe ein Recht auf Rückkehr für die 5,5 Millionen von der UNRWA registrierten Flüchtlinge. Ein solches Recht gibt es im internationalen Recht nicht. In ihrem Buch „The War of Return“ analysieren Dr. Einat Wilf und Adi Schwartz, dass die UNRWA den speziellen, vererbbaren und nur für palästinensische Flüchtlinge geschaffenen Flüchtlingsstatus und damit das Haupthindernis für Frieden mit ihrer Arbeit Tag für Tag verlängert. Es ist höchste Zeit, dass der UN-Sicherheitsrat sich damit beschäftigt, den Anspruch auf Rückkehr zurückweist und die UNRWA abschafft.
Für sehr erhellend halten wir in dem Buch die Auflistung der Flüchtlingssituation in den verschiedenen Ländern:
- Die 2,2 Millionen Flüchtlinge im Westjordanland und Gaza leben bereits dort, wo ein palästinensischer Staat entstehen soll; sie als Flüchtlinge zu behandeln ist hanebüchen. „Von welchem Palästina genau sind sie Flüchtlinge? Die palästinensische Antwort ist klar – das Palästina, das eines Tages Israel ersetzen wird und sich vom Fluss Jordan bis zum Mittelmeer erstreckt.“
- Die 2,2 Millionen Flüchtlinge in Jordanien besitzen die jordanische Staatsbürgerschaft, reisen mit einem jordanischen Pass, wählen in Jordanien und sind in hohe Ämter gewählt, – und werden als Flüchtlinge eines anderen Staats bezeichnet. Ein Unikum!
- In Syrien und Libanon sollen je eine halbe Million registrierte Flüchtlinge leben. Die meisten von ihnen leben nicht einmal mehr dort, sondern in Europa oder sonst wo.
Auch im Streit um den Trump-Plan ist die Illusion der Rückkehr präsent und verhindert ein konstruktives Eingehen der palästinensischen Seite auf Konfliktlösung. An demselben Tag, als Abbas vor der UN-Hauptversammlung den Trump-Plan ablehnte, hielt der stellvertretende Fatah-Vorsitzende Al-Aloul am 11. Februar 2020 auf einer Protestkundgebung der PA eine Karte von einem „Palästina“ ins Publikum, das ganz Israel ersetzt. „Das ist Palästina“ rief er in die Menge. Selbst der Premierminister der Palästinensischen Autonomiebehörde Shtayeh postete auf seiner Facebook-Seite am 11.2.20 „… alle Fatah-Fraktionen und islamischen Fraktionen vereinen sich hinter Präsident Abbas. Wir sagen nein zum Deal of the Century und ja zu einem palästinensischen Staat, dessen Hauptstadt Jerusalem ist, und zur Rückkehr der Flüchtlinge.“
Immerhin: Anders als die FES-Analyse, die Sanktionen gegen Israel und Anerkennung eines palästinensischen Staats ernsthaft diskutiert, schließt Heiko Maas beides aus. Wir empfehlen dem deutschen Außenminister während seiner Zeit als Vorsitzender des EU-Rats und des Sicherheitsrats eine Resolution auf den Weg zu bringen, die der Welt erläutert, wer die 5,5 Millionen palästinensischen Flüchtlinge sind, wo sie leben und arbeiten, und wie die geschätzt 200.000 Flüchtlinge in Syrien und Libanon, die wirklich noch auf Unterstützung angewiesen sind, von der UNHCR betreut werden könnten; die betont, dass es kein Recht auf „Rückkehr“ nach Israel für die von der UNRWA registrierten Flüchtlinge gibt; und die beschließt, die UNRWA aufzulösen.
Wir bitten die Bundesregierung, damit die eigentliche Quelle des Konflikts zu thematisieren.