Der Vorstand der DIG Region Stuttgart e.V. hat vor dem Hintergrund verstärkter Annäherungsversuche einzelner AfD-Mitglieder und -Funktionäre diesen Diskussionsbeitrag für das DIG-Magazin beschlossen:
Schächten solle verboten werden. Die Erinnerung an den Holocaust sei eine Verengung, die aufgebrochen werden solle. Der Islam gehöre nicht zu Deutschland; Minarett und Muezzin-Ruf seien abzulehnen. Die Aussagen des Wahlprogramms der AfD zur Bundestagswahl unterstreichen, dass die Partei auch programmatisch ein Antisemitismus- und Demokratieproblem hat. Die AfD kann kein Partner für die DIG sein, weil ein Schächtverbot jüdisches Leben in Deutschland diskriminiert und verunmöglicht, weil die Relativierung des Holocaust ein identitätsstiftendes Merkmal des Rechtsextremismus ist und weil die Ausgrenzung bis hin zu Vertreibungsphantasien gegen MuslimInnen menschenfeindlich und antidemokratisch ist. Die DIG dient laut Satzung „der Förderung internationaler Verbundenheit, der Toleranz und der Verständigung der Völker, insbesondere im Nahen Osten“ sowie der „Förderung des friedlichen Ausgleichs der verschiedenen Ethnien und Religionen“. Das schließt jede Zusammenarbeit mit einer Partei aus, die gezielt gegen Teile der Bevölkerung und Zugewanderte hetzt und ein Klima des Hasses schürt.
Die AfD sei das einzig große Bollwerk gegen den Antisemitismus, attestieren sich manche in der AfD selber. Die AnhängerInnen und WählerInnen der AfD wissen es besser. Sie stimmen klassisch-antisemitischen Aussagen viermal häufiger zu als die WählerInnen der anderen Parteien. Fast die Hälfte der AfD AnhängerInnen stimmt antiisraelischen Ressentiments zu. Nachzulesen im aktuellen Antisemitismusbericht der Bundesregierung.
Andersrum wird also ein Schuh draus. Die AfD agiert als Bollwerk des Antisemitismus. Wolfgang Gedeon, Landtagsabgeordneter in Baden-Württemberg und Verschwörungsdenker, der die „Protokolle der Weisen von Zion“ verbreitet, ist nach wie vor Mitglied der AfD. Vize-Chefin Alice Weidel spricht von deutschem „Schuldkult“. Frauke Petry will den antisemitischen Begriff „völkisch“ rehabilitieren. Martin Hohmann, der vom jüdischen Tätervolk spricht und deswegen schon vor Jahren aus der CDU ausgeschlossen wurde, kandidiert auf Platz 4 der hessischen AfD zum Bundestag. Björn Höcke schmäht das Holocaust-Denkmal in Berlin. Die antisemitischen Vorfälle und Aussagen in der Partei haben seit der Gedeon-Debatte sogar noch zugenommen (siehe Kasten).
Pro-Israel als Tünche
Dass Einzelne in der AfD sich pro Israel äußern, können wir nicht ernst nehmen. Denn programmatisch kann sich die Partei nicht einmal auf das Existenzrecht Israels einigen. Der Parteitag lehnte es ab, sich mit Israel zu befassen. Begründung: das Problem mit israelischen „Kriegsverbrechern“, die sich nicht dem internationalen Recht stellten, sei zu komplex. Der Anti-Islam-Kurs der AfD nützt weder den Juden in Europa noch in Israel. Im Gegenteil, er ist ausgesprochen gefährlich: heute gegen die Moslems, morgen gegen die Juden. Das sieht man auch in Israel so. Staatspräsident Rivlin sprach sich entschieden gegen Kontakte mit rechtspopulistischen europäischen Parteien aus, „die mit einer Geschichte des Antisemitismus, Leugnung des Holocaust und der Förderung von Rassenhass oder Intoleranz behaftet sind.“ Und Botschafter Hadas-Handelsmann erklärte: „Mit großer Skepsis beobachte ich, wenn Menschen, die auf der Straße offen gegen Flüchtlinge protestieren, plötzlich israelische Flaggen schwenken. […] Ausländerfeindliche Menschen sprechen von ‚uns Juden und Christen‘ und bezeichnen den Islam als gemeinsamen Feind. Das ist Unsinn.“ In Israel wird weder über den Bau von Moscheen noch von Minaretten und Muezzin-Ruf gestritten. Sie werden vom Staat Israel bezahlt. Moslems haben in Israel die gleichen Bürgerrechte wie Juden oder Christen.
Um den von vielen Flüchtlingen mitgebrachten Judenhass und israelbezogenen Antisemitismus zu bekämpfen, muss der Antisemitismus gesellschaftlich – von Staats wegen und in der Zivilsphäre, in den Medien, Schulen und Deutschkursen – geächtet werden. Die AfD und ihre Anhänger jedoch machen ihn salonfähig. Braune Flecken mit Israel- Freundschaft zu übertünchen funktioniert nicht. Nicht mit uns.
Vorstand der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Region Stuttgart e.V.
Anhang: Auszug aus „Die AfD und der Antisemitismus – Teil 1“ von Jan Riebe
Antisemitische „Einzelfälle“ seit Gedeon-Debatte
Zu vermuten wäre gewesen, dass der Fall Gedeon zumindest für mehr Sensibilität in der Partei in Bezug auf Antisemitismus sorgen würde. Die Vorfälle seit der Gedeon-Debatte sprechen jedoch eine andere Sprache: Davon zeugen diverse Vorfälle seit Sommer 2016. Eine unvollständige Auflistung:
- Bei der Landtagswahl in Berlin Mitte September 2016 wurde Bernd Pachal für die AfD in das Berliner Regionalparlament, die Bezirksversammlung von Marzahn- Hellersdorf, gewählt. Pachal vertritt verschwörungsideologische Positionen. So ist er etwa der Meinung, dass die USA hinter der Terrororganisation „Islamischer Staat “ stecke. Und auch seinen Antisemitismus vertritt er offen. Ende September 2016 schrieb er auf Facebook: „Die Sterne in der EU-Flagge symbolisieren ja auch nicht die
Mitgliedsländer, sondern die 12 Stämme Israels. Hat sich das immer noch nicht herumgesprochen? „Damit knüpft er an antisemitische Verschwörungstheorien an, nachdem die Europäische Union ein Projekt einer angeblichen geheimen jüdischen Weltverschwörung sei, mit dem Ziel den europäischen Nationen ihre Souveränität zu nehmen. Ende Oktober, also einen Monat später, wurde Pachal in den Vorstand des AfD Marzahn-Hellersdorf gewählt. Kurz darauf lobte der neue AfD-Fraktionsvize in Berlin-Marzahn öffentlich die „die kluge Politik des Reichsprotektors Reinhard Heydrich.“ Heydrich ging in die Geschichte als ́Schlächter von Prag` ein und war Organisator der Wannsee-Konferenz zur ́Endlösung der Judenfrage`. Politische Konsequenzen für Pachal für das Lob: bis heute keine.- Der im Kasseler Kreistag sitzende Gottfried Klasen schreibt auf Facebook zum Beispiel, dass der Zentralrat der Juden die „politische Meinungsbildungshoheit sowie die politische Kontrolle über Deutschland“ hat und alle Parteien, auch die AfD, infiltriere um die Kontrolle über sie zu behalten. Klasen trat zurück „um Schaden von der Partei abzuhalten, blieb aber Mitglied und wurde als Delegierter auf den Bundesparteitag entsendet. Nachdem Klasen in stetiger Regelmäßigkeit rechtsextreme und antisemitische Postings veröffentlichte soll sich jetzt das AfD-Schiedsgericht befassen. Bislang ist noch kein Fall bekannt, in dem das AfD Schiedsgericht eine Person ausgeschlossen hat.
- „Adolf, bitte melde dich! Deutschland braucht dich! Das Deutsche Volk!“ Garniert mit diesem Zusatz hat die Nürnberger AfD-Funktionärin Elena Roon in einer Chatgruppe der Partei ein Hitler-Bild verbreitet. In einer anderen von Roon geteilten Montage wird dem Diktator – wohl mit Blick auf den NS-Massenmord – folgende Aussage in den Mund gelegt: „Islamisten….die habe ich vergessen“. Zudem wurde auf einem ihr zugerechneten Account in einem russischen sozialen Netzwerk ein Video der notorischen Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck-Wetzel gepostet, in dem diese Russlanddeutsche dazu aufrief, die AfD zu wählen. Die AfD sah Roon „vollständig entlastet“, da sie „unerfahren“ sei und als Russlanddeutsche weder „perfekte Sprachkenntnisse“ und die Bilder ohne die „in Deutschland üblichen Alarmglocken“ gepostet habe. Nach öffentlichem Druck trat sie dann doch von allen Parteiämtern zurück.
- Bei den Kommunalwahlen in Niedersachsen am 11.09.2016 treten gleich mehrere Kandidaten für die AfD erfolgreich an, die Verbindung zur Holocaustleugnungs-Szene pflegen oder pflegten: In den Rat der Stadt Springe bei Hannover zog Wolfram Bednarski ein. Laut der Rechtsextremismusexpertin Andrea Röpke trat Bednarski 2004 dem Verein „Bauernhilfe e.V. “ bei, der aus dem Kreis der Holocaust- Leugner_innen um Ursula Haverbeck und Horst Mahler gegründet wurde. Im Jahr 2008 wurde die „Bauernhilfe“ vom Bundesminister des Inneren verboten. Der Verein war laut Innenministerium ein „Sammelbecken organisierter Holocaust-Leugner“ und steht auf der „Unvereinbarkeitsliste“ der AfD. Im niedersächsischen Diepholz zog als Nachrücker Anfang April 2017 der Vorsitzende der AfD im Landkreis Diepholz, Andreas Dieter Iloff in den Kreistag. Iloff wird vom niedersächsischen Verfassungsschutz beobachtet. Er ist in diversen rechtsextremen Gruppierungen aktiv gewesen und pflegte Umgang u.a. mit der antisemitischen „Europäische Aktion“ des Schweizer Holocaustleugners Bernhard Schaub. An einem Treffen der „Europäischen Aktion“ nahm er auf dem Anwesen des bekannten NPD-Funktionärs Thorsten Heise in Fretterode teil. Die Vorwürfe gegen Beide sind lange bekannt. Das hielt die AfD jedoch nicht davon ab, sie für die niedersächsische Kommunalwahl aufzustellen und uneingeschränkt an ihnen festzuhalten.
- Der Vorsitzende der AfD in Niedersachsen, Armin Paul Hampe, war Ende 2016 Hauptredner bei einer Veranstaltung des rechtsextremen Verein „Arbeitskreis für deutsche Politik e.V.“ (AfdP). Früher hatten beim AfdP schon bekannte Rechtsextremisten und Antisemiten geredet, wie die Holocaustleugner Horst Mahler und Rigolf Henning oder der NPD-Funktionär Udo Pastörs. Hampe will davon nichts gewusst haben.
- Auch die AfD Baden-Württemberg offenbart, dass Gedeon hier wohl nicht falsch ist: Am 23. Januar 2017 bringt die Fraktion einen Antrag ins Landesparlament ein, in dem vorgeschlagen wird, die finanziellen Mittel zur Förderung der NS-Gedenkstätte Gurs in Frankreich zu streichen. Nach Gurs wurden am 22. Oktober 1940 6.500 Jüdinnen und Juden aus Baden, der Pfalz und dem Saarland deportiert. Insgesamt wurden 17.000 Jüdinnen und Juden festgehalten, von denen mehrere tausend später in verschiedene Vernichtungslager, hauptsächlich Auschwitz, deportiert wurden. Die Gedenkstätte wird jährlich mit 120.000 Euro gefördert. Außerdem forderte die AfD keine Fahrten von Schüler_innen in NS-Gedenkstätten mehr zu veranstalten, sondern nur noch zu „bedeutsamen Stätten der deutschen Geschichte“. Begründet wird dies mit der Haushaltskonsolidierung und damit, dass Migrant_innen ein positives Bild von Deutschland vermittelt werden müsse. Nachdem dies bundesweit thematisiert wurde reagierte die AfD auf ihre gewohnte Art: Parteichef Meuthen bezeichnet den Antrag als „Irrtum“, da er auf „fehlerhaften Annahmen“ beruht habe. Die AfD zog den Antrag zurück, aber nicht ohne den anderen Parteien vorzuwerfen „mal wieder völlig unbegründet die Antisemitismus- und Rassismuskeule“ geschwungen zu haben.
- Die AfD Baden-Württemberg postet in sozialen Netzwerken ein Meme, das zwei schwarze Juden an der Klagemauer zeigte. Darüber stand „Invasion. Aus Afrika kommen bald so viele Flüchtlinge wie nie“. Nach Protesten löscht die AfD ihren rassistischen und antisemitischen Tweet und behauptet er sei nicht autorisiert worden.
- Stefan Räpple, AfD-Abgeordnete im Landtag von Baden Württemberg weigert sich bis heute die Präambel zur Abgrenzung von Antisemitismus und Rassismus der AfD zu unterzeichnen. In der Öffentlichkeit hatte Meuthen erklärt, alle Abgeordneten hatten die Präambel unterschrieben, da dies die Voraussetzung für die Vereinigung der gespaltenen Fraktion nach dem Gedeon-Skandal gewesen sei.
- Der stellvertretende Vorsitzende der AfD-Landtagsfraktion in Schwerin, Ralph Weber, fordert „Wir, Biodeutsche‘ mit zwei deutschen Eltern und vier deutschen Großeltern” müssen dafür einsetzen, dass „unsere Heimat auch in 30 Jahren noch von einer deutschen Leitkultur geprägt und geformt wird”. Diese Forderung des national- völkische AfDler kling sehr stark nach einer Forderung des „kleinen Ariernachweises” der Nationalsozialisten, mit der die Ausgrenzung der „Nichtarier” begann und die schließlich zur Aberkennung der Bürgerrechte bis hin zur Deportation führte.
- „Das ist Stürmer-Niveau “ urteilte Alexander Gauland über ein 2014 vom uckermärkische AfD-Kreisvorsitzende Jan Ulrich Weiß gepostetes antisemitisches Facebook-Bild. Hatte die brandenburgische Landtagsfraktion und der brandenburgische Parteivorstand noch 2015 für den Ausschluss von Weiß votiert (was das AfD-Schiedsgericht ablehnte), wird er 2017 Nachrücker von Gauland im Brandenburger Landtag, wenn dieser in den Bundestag einzieht. Gauland, der 2014 Weiß noch „Stürmer-Niveau“ vorwarf machte klar, dass er selbst Weiß persönlich nicht kritisch sehe.
- Parteisprecherin Frauke Petry trifft sich im Februar 2017 bei einer Russland-Reise auch mit dem russischem Rechtsextremisten und Antisemiten Wladimir Schirinowski. Dieser behauptet, Juden würden die Welt regieren und Al Kaida hätte nie existiert.